Von warmen Herzen, freiem Willen und Beeinträchtigungen

Oder: Wie man die Welt ein wenig besser hinterlassen, als man sie vorgefunden hat.

„Versuche, die Welt ein wenig besser zu hinterlassen, als du sie vorgefunden hast. Und wenn du am Zuge bist, zu sterben, kannst du fröhlich sterben. Mit einem Gefühl, dass du deine Zeit niemals verschwendet, sondern immer dein Bestes gegeben hast.“

Dieses Zitat geht auf Sir Robert Baden-Powell zurück. Einen britischen Armee-Offizier und den Gründer der weltweiten Pfadfinder:innen-Bewegung. Und wenn ihr mich fragt, ist dieses Zitat in seiner Banalität absolut genial!

Wie meine treue Leserschaft vielleicht weiß, habe ich mit 7 Jahren selbst mit der Pfadfinderei begonnen. Oder eigentlich bin ich von meinen Eltern begonnen worden. Wie man sich vielleicht vorstellen kann, war ich aus diesem Grund oft genug Ziel von Spott und Hohn: „Hast du heute schon einer alten Dame über die Straße geholfen? Verkaufst du demnächst wieder Kekse von Tür zu Tür?“ Ihr wisst schon. Kinder können Arschlöcher sein. Mittlerweile bin ich allerdings davon überzeugt, dass diese Entscheidung vor knapp 23 Jahren, die beste Entscheidung meiner Eltern ever war. Shoutout an euch, Irmi und Klemens, ich werd euch ewig dankbar sein!

Pfadfinder und stolz drauf

Ich habe in der Vergangenheit schon immer wieder über meine Erfahrungen mit den Pfadis berichtet. Zum Beispiel als ich 2017 in Island einen Troll-Penis gesehen habe. Oder als wir 2015 die Automaten für Alkohol in Japan geplündert haben. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund (ganz bestimmt nicht zu wenig Scherer für diesen Blog… nieeeeemals!) habe ich bis dato keinen Beitrag über mein letztes größeres Pfadi-Abenteuer verfasst: Als ich beim World Scout Jamboree, 2019 in West Virginia Müll sammeln durfte! Vielleicht hole ich das irgendwann einmal nach. Es war geiler als es klingt.

Das Leben als Müll-Pfadfinder war kein einfaches

Ich betätige mich seit rund zehn Jahren ehrenamtlich als Jugend(beg)leiter bei den Pfadis. Davon konnte ich in vielerlei Hinsicht bereits profitieren und unglaublich viel lernen. Eines ist sicher: Es werden weitere Beiträge über die Pfadi-Bewegung auf bearnecessities.at folgen. Immer noch inspiriert durch eine unglaublich tolle Woche in Litauen, möchte ich es diesmal aber ein wenig anders angehen.

Das DYVO-Projekt

Anfang Juli durfte ich Teil einer, für mich zumindest, gänzlich neuen Erfahrung sein. Ich durfte im Rahmen eines Erasmus+ Projektes mit einer Litauischen Institution für Menschen mit geistigen Behinderungen „volunteeren“ – also ehrenamtlich mithelfen. Oder, wie es eine weitere Teilnehmerin aus Italien (shoutout to Martina) formuliert hat: „Different abilities not disabilities!“

„Jaunuoliu dienos centras“ (kurz JDC) bedeutet wortwörtlich Tageszentrum für junge Menschen und ist eine Einrichtung im litauischen Städtchen Panevėžys. JDC ist die litauische Partnerorganisation, die gemeinsam mit Institutionen aus Italien, Belgien und Österreich an dem sogenannten DYVO-Projekt arbeitet. DYVO hat folgendes Ziel: „Das Projekt trägt zur Erleichterung und Innovation der Anerkennung und Validierung von Kompetenzen bei, die durch nicht-formales und informelles Lernen im Bereich der Jugendfreiwilligenarbeit erworben werden.“ Was für ein Klotz von einem Satz!

Was sich auf den ersten Blick relativ theoretisch und abstrakt anhört, ist in der Praxis eine wirklich coole Idee. Angenommen, ihr habt irgendwann einmal beim Roten Kreuz, in einem Pflegeheim, in einem Kindergarten, oder von mir aus auch nur in einem Hostel irgendwo auf der Welt, freiwillig und ehrenamtlich gearbeitet. In dieser Zeit habt ihr euch hundertprozentig gewisse Fähigkeiten angeeignet: Problemlösung, Kommunikation, Empathie, um nur drei zu nennen. Und jetzt stellt euch vor, ihr könntet euch das ganz offiziell wie einen Sprachkurs oder eine Arbeitsempfehlung in den Lebenslauf schreiben. Das ist die Idee vom DYVO-Projekt.

Freiwilligenarbeit heißt, voneinander zu lernen

Mit den litauischen Studenten bei JDC zusammenzuarbeiten war für mich allerdings nicht bloß eine gänzlich neue Erfahrung. Diese Zeit fühlt sich tatsächlich nach einer Woche des gemeinsamen Lernens an. Des Zusammenwachens, auch wenn es nur für eine Woche war. Wir haben uns gemeinsam auf Interviews mit Volunteering-Organisationen vorbereitet, haben gemeinsam Lebensläufe in „easy-to-read/easy-to-understand“ Englisch verfasst, oder ein LinkedIn Profil erstellt. Zudem eine kräftige Prise gemeinsamer kultureller, sportlicher und relaxender Aktivitäten.

Samanta (2. v.l.) ist eine Studentin bei JDC. Hier ist sie in einem Probe-Interview für eine Freiwilligen-Organisation.

Eine dieser Aktivitäten hat bei mir besonders viel Resonanz ausgelöst. Und ich hoffe, dass ihr nach den nächsten Zeilen nachvollziehen könnt, warum. Für diese Aktivität wurden wir gebeten, einen Aufsatz über Volunteering zu schreiben. Wie hat Volunteering bei deiner Persönlichkeitsentwicklung geholfen? Welche Fähigkeiten hast du erworben? Welche gesellschaftlichen Probleme sind dir in deiner Zeit als Volunteer aufgefallen und wie würdest du sie lösen?

Meine ersten Gedanken waren: „Oh boy, wie lange haben wir Zeit? Und wo zur Hölle fängt man da an?“ Was unsere herzallerliebsten Gastgeber:innen aus Litauen möglicherweise nicht bedacht haben, war wie fucking groß diese Fragen sind! Man könnte genauso gut nach dem Weltfrieden in unserer Zeit fragen… Aber hey, keine Aufgabe ist zu schwierig, am I right? Ich mach mich also ran an den Speck.

Falscher Alarm und Augenbinden

Nach knapp 20 Minuten erreiche ich so etwas Ähnliches wie einen Flow-Zustand. Die Wörter fallen plötzlich zusammen und ergeben kohärente Sätze. Ich schreibe. Und dann, ganz plötzlich, ertönen laute Sirenen. Für einen Sekundenbruchteil denke ich „Feueralarm! PAAAAANIIIIK!“ Doch dann ist schnell klar, dass hier irgendetwas faul ist, im Staate Litauen. Julya, eine unserer großartigen Gastgeberinnen bei JDC, bittet uns, aufzustehen, alles liegenzulassen und uns in einen anderen Raum zu begeben. Weniger Panik. Unsere Freunde bei JDC sind sowieso viel zu locker. Da ist also etwas im Busch.

Nachdem wir alle unsere Plätze in diesem neuen Raum gefunden haben, bekommen wir eine Augenbinde angelegt. Es gibt eine neue Aufgabe: In Dreiergruppen erhalten wir ein frisches Stück Ton. Daraus sollen wir in der Gruppe und blind eine Skulptur formen. Wie ihr euch vorstellen könnt, keine einfache Aufgabe und vor allem gänzlich anders, als einen Essay zu verfassen. Was für eine faszinierende Sequenz an Ereignissen.

Auf jeden Fall eine neue Erfahrung: Mit verbundenen Augen gemeinsam etwas aus Ton formen

Wie ihr euch auch denken könnt, würde ich das nicht erzählen, wenn ich dabei nicht etwas gelernt hätte. Diese Kette an Aktivitäten sollte nämlich nicht nur eine Herausforderung an unsere Anpassungsfähigkeit sein. Sie sollte uns auch eine Art Einblick in ein Leben mit mentaler Beeinträchtigung geben. Kaum hast du es endlich geschafft, dich auf etwas zu fokussieren, fragt dich bereits jemand, das nächste Ding anzugehen. Und das mehr oder weniger im Dauerzustand. Wow! Für mich, ehrlich gesagt, ein Gänsehautmoment. So hatte ich noch nie darüber gedacht. Und vielleicht habt ihr jetzt eine Vorstellung, worum es in dieser Woche in Litauen mehr oder weniger ging.

Warum Freiwilligenarbeit?

Immer wieder fragen mich Leute nach derartigen Abenteuern: „Warum opferst du überhaupt eine Woche Urlaub für so etwas? Woher nimmst du die Energie?“ Oder, wenn es um internationale Pfadi-Lager geht: „Warum bezahlst du tausende Euro dafür, 2 Wochen lang einen beschissenen Job als Müllmann zu machen?“ (Das war – kein Scheiß – 2019 mein Job in den USA.) Und ich verstehe diese Fragen. Eine Woche am Strand hätte mir vielleicht auch dabei geholfen, meine Batterien aufzuaden. Ein paar Nächte in einem Luxus Spa hätten vielleicht einen weit entspannenderen Effekt auf mich gehabt.

FETTES Aber: Auf eine einzigartige Art fühlt sich Volunteering – also gewisser Weise freiwillig Zeit aufzubringen, um anderen zu helfen, sie zu unterstützen oder ihnen Dienste zu leisten – nach so viel mehr an als Entspannung und Aufladen. Jedes Mal fühlt sich mein Herz danach warm an. Es mag sich komisch anhören, aber ich weiß nicht, wie ich es sonst beschreiben könnte. Es fühlt sich nach inniger Verbindung mit Menschen an, die ich erst kurz zuvor kennengelernt hatte. Es fühlt sich nach einer sinnstiftenden Tätigkeit an. Und es fühlt sich so an, als ob ich die Welt ein wenig besser hinterlassen, als ich sie vorgefunden habe!

Ich hab vor, in dieses Volunteering-Thema noch deutlich tiefer einzutauchen. Bear with me! Es sind ein paar coole Projekte in der Pipeline, die ich gerne mit euch teilen würde!

Bis dahin, Bussis auf eure süßen Beach-Bäuche

Jakob, euer friendly neighborhood bear

Eine Antwort auf „Von warmen Herzen, freiem Willen und Beeinträchtigungen“

  1. Es ist wunderschön zu erleben, dass dir die Pfadfinderei so viel bedeutet.
    Ich bin sehr,sehr stolz auf dich, dass dir diese freiwillige Arbeit ein warmes Herz macht.
    Was könnte es Schöneres geben?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.