Vom Aufstehen und Stutz, der besten Dokumentation des Jahres

„Stutz“, eine Netflix-Dokumentation von Schauspieler Jonah Hill über seinen Psychiater, Dr. Phil Stutz, ist der beste Content, den ich in diesem Jahr konsumiert habe. Hier sind die Gründe, warum ich denke, dass jeder ihn sehen sollte und warum ich glaube, dass er das Potenzial hat, unser Leben zu verändern.

Als Erstes möchte ich einen Disclaimer anbringen: Dieser Post ist das erste Mal, dass ich einen etwas rezensiere. Normalerweise geht es hier ja um meine Reisen, Abenteuer und Erfahrungen. In Zukunft werdet ihr solche Dinge hoffentlich öfter lesen. Wie immer bin ich sehr dankbar für jede Art von Feedback. Wenn ihr das hier lest, wisst ihr wahrscheinlich sowieso, wie ihr mit mir in Kontakt treten könnt. Als dann, auf geht’s


Vor einigen Tagen lag ich auf der Couch und wusste nicht so recht, was ich anschauen sollte, als ich in meinen Netflix-Empfehlungen über „Stutz“ stolperte. Da ich ein Fan von Jonah Hill bin und schon lange nichts mehr von ihm gesehen hatte, war ich gleich neugierig. Als in der Beschreibung stand, dass es sich um eine Dokumentation über seinen Therapeuten handelt, war ich schon überzeugt.

Image Source: Netflix
Bildquelle. Netflix

Der Dokumentarfilm beginnt in einer stereotypischen Therapiesituation. Jonah fragt Stutz, warum er glaubt, dass er diesen Film überhaupt machen möchte. Allerspätestens nach sechs Minuten konnte ich eine ungemein große Resonanz verspüren.

Der Struggle, morgens aus dem Bett zu kommen


Ich persönlich habe normalerweise kein Problem damit, morgens aufzustehen. Betonung auf „normalerweise“. Denn es geht nur gut, wenn ich einen Grund habe, der mich buchstäblich aus dem Bett zwingt. Das ist bei vielen Menschen in der Regel die Arbeit, die Schule oder ein anderer Termin in der Früh (was ich tunlichst versuche zu vermeiden, weil ich liebe meinen Schlaf).

Der Kampf beginnt, wenn mir diese Gründe fehlen. Wenn ich keinen klaren Zeitplan für meinen Tag habe. Wenn die Möglichkeiten, meine wertvollste Ressource – Zeit – zu nutzen, schier endlos zu sein scheinen. Das ist der Moment, in dem ich die Snooze-Taste am Handy drücke. Wieder und wieder und wieder.

Um weiter zu träumen. Um weiter zu entfliehen. Um weiter auszuweichen. An diesem Punkt wusste ich, wie sehr mich diese ganze Dokumentation berühren würde.

Ich war schon immer ein eifriger Schläfer. Das ist ein Segen und ein Fluch.

Die Probleme mit der Realität

Liegen zu bleiben, anstatt aufzustehen, ist natürlich aus mehreren Gründen sehr verlockend. Der größte sind aus meiner Sicht die Probleme, die im Leben auf mich warten. Probleme, die gelöst werden wollen und für die ich nicht immer eine Lösung parat habe. Dr. Stutz nennt diese Probleme die drei Aspekte der Realität, denen man nicht ausweichen kann:

  1. Schmerz
  2. Ungewissheit
  3. Ständige Arbeit

Ich persönlich empfinde diese Erkenntnis und diese Aspekte als sehr zutreffend. Anfang des Jahres habe ich etwas über das Verhältnis von Ungewissheit und Liebe geschrieben, auf das ich immer noch sehr stolz bin:

Paradoxerweise kann die Liebe auch das Schlimmste und Schmerzhafteste auf der Welt sein. Schmerzhafter als alles andere. Denn die Liebe hat ein zweites Gesicht. Ein Gesicht namens Ungewissheit. Sie ist die unzertrennliche Mitspielerin der Liebe. Zwei Seiten der selben Medaille. So untrennbar wie das Yin und das Yang. Wie Siamesische Zwillinge mit zwei Gehirnen, aber demselben Körper.

Fühlt sich die Liebe sicher und geborgen, kommt die Ungewissheit und sorgt für Balance. Fühlt sich die Liebe komplett präsent und im Moment, kommt die Ungewissheit mit einem kleinen Äffchen eines Gedankens und sorgt für Ablenkung. Wenn die Liebe sich orgasmisch explosiv anfühlt, fragt die Unsicherheit: „Aber was werden die Leute denken?“

Jakob, März 2022


Die Kraft des Lebens und der Liebe

Hier stellt Stutz das erste seiner Werkzeuge (@TheToolsBook) vor, um mit diesen Aspekten der Realität umzugehen: Die Lebenskraft. Ein Konzept mit drei pyramidenartigen Stufen von Beziehungen.

~ 1. die Beziehung zu deinem PHYSISCHEN KÖRPER
~ 2. die Beziehung zu ANDEREN MENSCHEN
~ 3. die Beziehung zu SICH SELBST

Ein Konzept, das ich schon in anderen Zusammenhängen und Versionen gesehen habe. Die alten Ägypter zum Beispiel glaubten, dass die Seele verschiedene Teile hat (und wir alle wissen, wie ihre Gebäude aussehen. Zufall? Ich glaube nicht). Oder die fünf Koshas in der Hindu-Philosophie, die oft in Schichten oder Hüllen visualisiert werden.

Für mich stellen diese Konzepte eine innere Kraft dar, mit der wir die äußeren Kräfte ersetzen können, die uns aus dem Bett treiben. Eine Kraft, die uns hilft, mit der Dunkelheit umzugehen, mit den schattenhaften Anteilen, die wir alle in uns tragen. Etwas, das Stutz „Teil X“ nennt.

Das Unglück und die Bösewichte in unserer Heldengeschichte

Jonah weist darauf hin, dass Teil X so etwas wie „der Bösewicht in unserer Geschichte“ ist. Derjenige, der versucht, den Helden in uns daran zu hindern, sich zu entwickeln, zu wachsen und sich zu verändern. Es ist „die Stimme der Unmöglichkeit“. Die Stimme, die dir sagt: „Du kannst es nicht schaffen. Du bist ein Versager. Du wirst dich nie ändern.“ Ein Aspekt, mit dem wir konfrontiert werden, wenn Widrigkeiten („adversity“) in unserem Leben auftreten.

Eine kleine Anekdote am Rande dazu, als ich das Wort „adversity“ kennenlernte. Bis 2019 hatte ich noch nie von diesem Wort gehört. Bis ich in Kolumbien eine lebensverändernde Erfahrung machte, über die ich noch nie in der Öffentlichkeit gesprochen habe. Mit von der Partie: entheogene Pflanzen, auch bekannt als Magic Mushrooms, und einen Mann aus Neuseeland namens Tom. Tom war der Barkeeper des Hostels, in dem ich übernachtete, und irgendwann sprachen wir über Philosophie. Als ich Tom bat, seine persönliche Philosophie zu beschreiben, sagte er nur: „Adversity“.

Eine Nacht in Kolumbien, die ich nie vergessen werde.

Ich hatte keine Ahnung, was er meinte, also bat ich ihn, es genauer zu erklären. Tom erzählte mir die Geschichte eines schweren Erdbebens in seiner Heimatstadt in Neuseeland im Jahr 2016. Es gab schwere Schäden, aber die Stadtbewohner unterstützten sich gegenseitig und zeigten, wie er sagte, „mehr Liebe und Mitgefühl füreinander als je zuvor“. Dieser Abend und dieses Gespräch haben mein Leben aus mehreren Gründen verändert, auf die ich vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt näher eingehen werde.

Für Tom, den Barkeeper, ist das „the power of Adversity“. Und für Phil Stutz ist das die Kraft von „Part X“. Ein Aspekt, den wir nicht ignorieren oder versuchen können, wegzuschieben. Ich habe das in der Vergangenheit versucht, aber es hat noch nie funktioniert. Denn „Part X“ wird mit noch größerer Wucht zurückkommen und uns heimsuchen. Das Einzige, was wir also tun können, ist, ihn anzunehmen und radikal zu akzeptieren.

Radikale Akzeptanz und Dankbarkeit

Akzeptieren, dass nichts im Leben perfekt ist. Akzeptieren, dass wir Menschen und Dinge verlieren werden, die wir von ganzem Herzen lieben. Akzeptieren, dass wir alle irgendwann einmal sterben werden. Und akzeptieren, dass es diese Ungewissheit gibt, den Schmerz und die ständige Arbeit, die es braucht, um die Ambivalenz des Lebens zu ertragen.

Während des Dokumentarfilms gehen Stutz und Jonah eine ganze Reihe verschiedener Werkzeuge durch. Werkzeuge, die der Therapeut auf kleinen Zetteln seinen Klienten anbietet. Durch Visualisierung und Konzentration können diese Werkzeuge helfen, diese radikale Akzeptanz zu erreichen. Eines dieser Werkzeuge ist etwas, das Stutz „a grateful flow“ nennt. Situationen schaffen und fühlen, für die wir dankbar sind. Die kleinen Dinge hervorheben, weil „sie mehr Aufmerksamkeit erfordern“.

Verletzlichkeit ist eine Stärke

Versteht mich jetzt nicht falsch. Ich gebe zu, dass keines dieser Konzepte bahnbrechend oder völlig neu ist. Viele kluge Menschen haben in der Vergangenheit ähnliche Ideen formuliert. Was allerdings bahnbrechend ist, ist die Art und Weise, wie sich dieser Dokumentarfilm entfaltet. Nach etwa einer halben Stunde ändert sich nämlich etwas.

Jonah und Stutz beschließen, das Publikum in den Prozess des Filmemachens einzuweihen. Sie zeigen die Schwierigkeiten und ihren Kampf, sie zeigen ihre Verletzlichkeit und sie lassen ihre Masken fallen. Etwas, das mir selbst schwerfällt und über das ich in meinem letzten Blogpost geschrieben habe. Sie erkennen an, dass „Scheitern und Schwäche uns mit der Welt verbinden“. Für mich ist das der Punkt, an dem „Stutz“ wirklich bemerkenswert und fast magisch wird. Jonah weist gegen Ende darauf hin:

Auch Menschen, zu denen wir aufschauen, sind nicht von all den Problemen befreit, die wir selbst haben!

Jonah Hill in „Stutz“


99 Probleme und jeder hat 1

Jeder hat Probleme und niemand kann sie alleine lösen. Und das zu akzeptieren, sei das Geheimnis des Lebens, so Stutz abschließend. Er sagt: „Alles, was real und tiefgründig ist, muss 2 haben, nicht 1. Denn es ist eine Sache der Schwingungen. Zwei Menschen können ein Feld erzeugen. Es ist unsichtbar, aber das ist die Kraft im Universum, die Dinge geschehen lässt.“ Was für manche wie spirituelles Kauderwelsch klingt, ist für mich eine elegante Art zu beschreiben, was ich wirklich für den Klebstoff des Universums halte: LIEBE

Allein die schiere Rohheit dieses Dokumentarfilms ist schon Grund genug, ihn sich anzusehen. Aber das Ziel ist, wie Jonah betont, jedem, der sich diesen Film ansieht, Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, die er in der Therapie gelernt hat. Den Zuschauern soll geholfen werden, ein besseres Leben zu führen.

Das ist genau das, was ich durch #synthesizing, durch das Schreiben und alles andere, was ich tue, zu erreichen versuche. Das zu tun, indem sie ich öffnen und vor der Kamera psychologisch gesehen extrem tief gehen, ist nicht nur mutig. Über den Tod ihrer jeweiligen Brüder zu sprechen und darüber, wie man den Verlust verarbeitet, den Menschen Werkzeuge an die Hand zu geben, wie sie mit der Realität des Lebens umgehen können, ist absolut genial und lebensverändernd. 11 von 10 Punkten.

Bis zum nächsten Mal, Bussis auf eure Bäuche

euer friendly neighborhood bear
Jakob

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